"Kerle Kulte - Inszenierung von Männlichkeit" heißt das Buch. Worum geht es und was war die Grundidee dazu?
Möller: Eine der zentralen Grundideen war: Die alte Grönemeyer-Frage "Wann ist der Mann ein Mann?" ist in die Jahre gekommen. Dies auch deshalb, weil wirklich befriedigende Antworten auf sie nicht gegeben werden konnten und können. Vielleicht liegt das daran, dass die Frage falsch gestellt ist. Unsere Überlegung war daher, die Frage abzuwandeln und zu fragen: Wie bleibt der Kerl ein Kerl? Mit anderen Worten: Wie schaffen es Jungen und Männer, ihre Männlichkeit - bzw. das, was als ihre Männlichkeit angesehen wird - zu reproduzieren? Welche Mittel setzen sie dafür ein, dauerhaft als männlich anerkannt zu werden? Insbesondere: Mit Hilfe welcher symbolischen Mittel (z.B. Gestaltung des eigenen Aussehens, körperliches Gebaren, Kleidung, Musik, Inszenierung ihrer Person im Kontext anderer Männer und beim Zusammensein mit Frauen) sichern sie ihre Anerkennung als männliche Wesen?
Was sind die wichtigsten Erkenntnisse von Kerle Kulte?
Möller: Männlichkeit ist vielfältig. Die Definitionen dessen, was ein 'richtiger Kerl' ist, haben sich pluralisiert, ja die Frage nach dem 'richtigen Kerl' wird von vielen schon gar nicht mehr als zulässig angesehen. Eindeutige Zuschreibungen zur Männerrolle und zum Männerbild verschwinden allmählich. Und mit Klaus Wowereit ist man versucht zu sagen: "Und das ist auch gut so!"
Was definiert Maskulinität konkret, wenn man ihre Interviews als Basis nimmt?
Möller: Damit sind wir dann doch wieder bei der Frage "Wann ist der Mann ein Mann?" bzw. "Was ist männlich?". Die Antwort darauf heißt ganz einfach: Es kommt drauf an. Es kommt erstens darauf an, ob man glaubt, Männlichkeit an objektiven Kriterien festmachen zu können. z.B. an Kriterien wie Haare auf der Brust, primäre äußere Geschlechtsmerkmale, hormonale Ausstattung, xy-Chromosomensatz etc. Denkt man(n) so, bewegt man sich nur sehr vordergründig betrachtet auf sicherem Terrain. Nicht nur, dass es Männer ohne Brustbehaarung gibt. Es gibt auch Männer, deren Testosteronspiegel unter dem mancher Frauen liegt, Personen, die chromosomenmäßig nicht eindeutig einem Geschlecht zuzuordnen sind und Männer, die ihrem Selbstempfinden nach maskulin sind, aber zwischen den Beinen nicht so aussehen wie der Durchschnittsmann (wenn es den denn überhaupt gibt).
Souveränität, Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme und Entschlossenheit
Deshalb könnte man zweitens einen anderen Antwortweg einschlagen und sagen: Lasst uns damit aufhören, Geschlecht eindeutig entlang vermeintlich objektiver Merkmale zu bestimmen. Lasst uns lieber das Selbstverständnis der Betroffenen zur Grundlage einer Bestimmung nehmen. Danach wäre dann die Person männlich, die sich männlich fühlt. Allerdings ist ein solches Verständnis insoweit wenig zufriedenstellend, als ja faktisch gesellschaftlich eine Einteilung in männlich und weiblich unternommen wird, im herrschenden System der Zweigeschlechtlichkeit man/frau also entweder als maskulin oder als feminin eingestuft wird. Dafür braucht man/frau dann doch wieder Einschätzungsgesichtspunkte und Ordnungskriterien. Daher könnte man drittens Maskulinität als etwas betrachten, was intersubjektiv hergestellt wird. Dann wäre sie also als etwas, das Resultat ist von Verständigungsprozessen von Menschen. Maskulin ist dann das, was als maskulin betrachtet wird und Geltung erhält. Insofern es aber auf dieser Ebene um Fragen der Wahrnehmung und Bewertung geht, wird hier nicht Männlichkeit per se definiert. Viel mehr ist dann die Frage, ob jemand die Art eines Mannes hat, ob er also mannhaft ist. Schon im Wörterbuch der Gebrüder Grimm aus dem 19ten Jahrhundert wird aber Mannhaftigkeit nicht nur an "Alter", "Kraft" und "Erscheinung" festgemacht, sondern - vor allem - an "Gesinnung" und "Thaten". Mit anderen Worten: Um Mannhaftigkeit zugesprochen zu bekommen, müssen bestimmte Eigenschaften und Handlungsweisen an den Tag gelegt werden. Zu ihnen gehört - nicht nur für die Gebrüder Grimm oder Aristoteles, der schon in der griechischen Antike "Mannhaftigkeit" definierte, - Souveränität, Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme, Entschlossenheit, Selbstdisziplin, Geradlinigkeit, Prinzipientreue, Wehrfähigkeit, ein gewisses Maß an Opferbereitschaft, Verlässlichkeit und -wie Aristoteles formuliert - "ein "rechtes Maß zwischen Furchtsamkeit und Verwegenheit". Dies verweist darauf, dass das Mann sein hergestellt wird, also einem nicht schlicht widerfährt (oder eben nicht zukommt). Genau in diesem Kontext ist dann auch unsere Ausgangsfrage interessant: Was muss man(n) tun, damit man zugesprochen bekommt, mannhaft zu sein?
Welche Rolle spielt Sexualität? Was hat sich verändert gegenüber früher?
Möller: Im Zuge sexueller Liberalisierung und der sexuellen Emanzipation des weiblichen Geschlechts sehen sich männliche Jugendliche und Männer stärker als früher gefordert, sich als sexuell attraktiver Partner zu inszenieren und im Sexuellen nicht nur auf ihre eigene Befriedigung Wert zu legen, sondern auch die Sexualpartnerin zufrieden zu stellen. Dies führt bei manchen zu mehr oder minder anhaltenden Verunsicherungen und zum Teil auch zu Versagensängsten, weil Mädchen und Frauen längst mehr sein wollen als schmeichelnde Spiegel, in denen gestandene Mannsbilder jene Illusionen zurückgeworfen haben wollen, die sie sich von sich selbst machen.
Laut einer Umfrage präferieren viele Frauen den Alpha-Softie: Groß, gebildet und einkommensstark soll er sein, gleichzeitig aber auch einfühlsam und engagiert in Kindererziehung sowie Haushalt. Gibt es diesen Mann überhaupt?
Möller: Aber sicher! Schauen Sie mich an! Nein, Quatsch, jetzt mal ernsthaft: Vor allem die junge Generation der Männer weiß längst darum, dass die Wünsche der Frauen tatsächlich in solche Richtungen gehen. Sie mögen sich dadurch verunsichert fühlen, aber sie stellen sich in weiten Teilen darauf ein; nur allmählich zwar, aber doch unübersehbar. Die Bereitschaft von Männern, in Elternzeit zu gehen steigt, die Bereitschaft zu Teilzeitarbeit steigt, die Bereitschaft zur Übernahme von Haushaltaufgaben steigt, die Bereitschaft zu mehr Verantwortung bei der Kinderpflege und Erziehung steigt. Mag sein, dass die Realisierung solcher Bereitschaften manchen - vor allem zahlreichen Frauen - noch nicht zureichend erscheint, aber der Schwenk hin zu modernisierten Männlichkeitsverständnissen wird vollzogen.
Gibt es eine Art Emanzipation der Männer als Reaktion auf die Emanzipation der Frauen und wenn ja, woraus besteht diese?
Möller: eine Emanzipation der Männer? Von was sollten sie sich emanzipieren? Von der Zentrierung auf Erwerbsarbeit? Von konventionellem Sexismus? Vom Streben nach Überlegenheit im Geschlechterverhältnis? Von der Scheinrationalität ihres Denkens und Verhaltens? Vom 'männlichen Machbarkeitswahn'? Na ja, Ansätze zu solchen Arten von Sich-unabhängiger Machen gibt es sicherlich. Aber insgesamt gibt sich nur eine Minderheit 'männerbewegt' in dem Sinne, dass die eigenen Geschlechterrolle offensiv reflektiert und problematisiert wird. Immerhin aber werden pädagogische Ansätze wie Jungenförderung in der Schule, Jungenarbeit im außerschulischen Bereich oder Männerbildung nicht mehr nur milde belächelt. Die Akzeptanz einer (selbst)kritischen Thematisierung des eigenen Junge- bzw. Mannseins wird größer. Gleichwohl: Emanzipation geht hier wohl am besten von der Schwulenbewegung aus. Und von den Frauen: "neue Männer braucht das Land!" sang schon in den 80ern Ina Deter. Wir als Männer sollten aufpassen, dass wir nicht von Frauen emanzipiert werden, sondern das selbst in die Hand nehmen. Übrigens: Solche Doppelerwartungen, die sich in ihren Elementen scheinbar widersprechen, kennt das weibliche Geschlecht ja schon von je her: einerseits eine gute Hausfrau und Mutter sein zu sollen, andererseits aber auch als scharfe Gespielin im Bett zu taugen. Wenn Frauen es immer wieder schaffen, diesen Spagat hinzubekommen, warum sollten wir Männer dann bei dem uns abverlangten scheitern?
Lassen Sie uns einen Blick in die Zukunft werfen: Wie wird Männlichkeit Ihrer Meinung nach in 100 Jahren aussehen?
Möller: Oh Gott! Ich bin weder Hellseher, noch Prophet. Aber wenn wir mal alle möglichen Unwägbarkeiten, die die Zukunft mit sich bringen kann, außer Acht lassen und davon ausgehen, dass die gegenwärtige Entwicklungen im Geschlechterverhältnis und im Selbstverständnis von Jungen und Männern sich in ihrer Tendenz fortsetzen, so steuern wir auf egalitärere Verhältnis und ein höheres Maß an Geschlechtsreflektion zu. Das heißt aber nicht, dass in 100 Jahren die Männer die Kinder kriegen; nicht einmal, dass sie die Frauen bei der Übernahme von Haushaltstätigkeiten überrundet haben.