Ein Auto ringt nach Luft

Das teuerste, stärkste und schnellste Auto der Welt musste noch stärker und schneller (und teurer) werden. Das war nicht ganz einfach. Denn irgendwo ist Schluss. Beim Bugatti Veyron Super Sport, einer Art Boden-Boden-Rakete auf vier Rädern, stehen 431 km/h auf dem Zeiger

TEXT: Timo Voelcker   FOTOS: Jürgen Skarwan

Der Herr Fotograf wünscht natürlich eine Straße, wie sie der Bugatti eigentlich nicht mag: eng und in sauschlechtem Zustand. Aber von Palmen gesäumt, sehr fotogen. Aber die Zufahrt zu dieser Finca hat garantiert schon bessere Tage gesehen. Sie wird vermutlich nicht oft von teuren Autos befahren.

Als wir vor dem Haus ein schön kompliziertes Wendemanöver veranstalten, kommt mein großer Augenblick: Der neugierig gewordene Hausherr ist herausgelaufen und ruft die Frage aller Fragen in den Motorenlärm: „How much does it cost?“ Das ist auf jeden Fall schon eine ziemlich gute Frage. Man könnte auch fragen: Wie stark ist er? Und wie schnell? Auf all dies kann man in einem Bugatti Veyron Super Sport markante Antworten geben.

Jedenfalls schreie ich, immer noch umständlich am Lenkrad kurbelnd auf diesem staubigen Hof, als hätte ich Nitroglyzerin geladen, mit angemessener Bedeutsamkeit ins Freie: „One point six millions! Without taxes!“ Zack, die volle Dröhnung. Der Mann nickt in höflicher Ergriffenheit. Aber nicht so, wie ich mir das vorgestellt habe. Wahrscheinlich hat er mich nicht richtig verstanden. Akustisch. Oder er hat richtig verstanden, bezweifelt das aber. Denn Autos, auch unfassbar teure, kosten keine eins Komma sechs Mille. Mit oder ohne Steuern. Doch, hätte ich gern gesagt. Dieses schon.

Die Obsession Höchstgeschwindigkeit begleitet Autos seit dem ganz frühen Tuckern. Das hat vermutlich damit zu tun, dass sich die ersten Autos noch mit Fußgängern messen mussten, dann mit Pferdekutschen. Viel später mit der Eisenbahn. Und so weiter. Wenn wer fragte: „Wozu das ganze?“, konnte man als Automobilist immer sagen: „Weil es schneller ist.“ Und heute messen sich Autos eben schon mit Flugzeugen. Der Geschwindigkeitsweltrekord für Autos, jedenfalls für Dinger mit Rädern dran, beträgt 1227,980 km/h, gefahren ist ihn Andy Green aus England auf einer Art Boden-Boden-Rakete.

Beim Autoquartett war Top Speed immer die Königsdisziplin. Welche Bedeutung sie für Serienautos hat, die (anders als Rennwagen oder Rekordfahrzeuge) auf öffentlichen Straßen unterwegs sind - das konnten eigentlich immer nur Menschen fragen, die nie Autoquartett gespielt haben. Frauen zum Beispiel.

Ende der 1980er-Jahre war das Thema so heiß, dass ein Auto die Ambition im Namen trug: der Jaguar XJ220, für 220 Meilen pro Stunde, das sind etwa 350 km/h. Der Jaguar hat sie in der Realität leider nie ganz erreicht (dafür dann 1992 der McLaren F1).

Zehn Jahre später wollte VW-Chef Ferdinand Piëch das Machtwort aller Machtworte sprechen. Er hatte die Namensrechte an Bugatti erworben und ein Auto im Sinn, das er seinen Ingenieuren in vier Punkten skizzierte. Darunter: 1001 PS (klingt wohl lustiger als 1000) und 407 km/h Top Speed (exakt ein km/h mehr als ein berüchtigter Porsche-Rennwagen schaffte, als Piëch dort Rennleiter war). Und anders als der Jaguar würde ein Piëch-Auto nicht an den eigenen Vorgaben scheitern.

Seit 2005 ist der Veyron auf dem Markt, der Big Daddy aller Supercars. Er ist einzigartig in vielerlei Hinsicht, vor allem aber durch Punkt vier auf Piëchs Liste: Mit dem Auto muss man auch an der Oper vorfahren können. Also Salonmanieren beim Anfahren, kein hässlicher Monsterflügel, kein unwürdiges An-Bord-Kriechen, kein Drama mit überhitzten Kühlern im Stau und so weiter. Das machte es den Technikern nicht leichter, ein bislang ungekannt extremes Straßenauto auf die Räder zu stellen. Wer will, kann in Frack und Lackschuhen die 400 km/h in Angriff nehmen.

Weil Kunden nach mehr Leistung verlangt hatten, so Bugatti, wurde der Super Sport ersonnen. Unter der Hand erfährt man aber auch, dass ein Störenfried lästig gefallen war: Ein Supercar aus Amerika beanspruchte plötzlich den Ge-schwindigkeitsweltrekord für Serienautos. Und obwohl jener Shelby SSC genau genommen kein solches ist (es gibt angeblich nur ein Stück davon, und das konnte bislang niemand ordentlich testen), wurmte die Bugatti-Leute die Sache. Autoquartett und so.

Testfahrer Pierre-Henri Raphanel schaffte sie im Juni mit dem Super Sport aus der Welt: Unter strenger Guinness-Aufsicht fuhr er 431 km/h. Schneller, als Michelin freigegeben hatte: Der Reifenprüfstand schafft maximal 415 km/h. „Also keine Garantie, dass die Reifen halten würden,“ erzählt Raphanel, „auf einer dreispurigen Teststrecke mitten im Wald.“ Aus diesem Grund regelt der Super Sport für den Hausgebrauch bei 415 ab.

Um die zusätzlichen km/h auf den normalen Veyron zu gewinnen, musste man dem Auto ganze 200 PS mehr Leistung verschaffen. Dem Achtlitermotor mit seinen vier Turbos kann man sie schon entlocken - wenn man ihn mit ausreichend Luft und Sprit versorgt. Eine Herausforderung, da an der Form des Autos nichts geändert werden durfte, man also keine zusätzlichen Kühler in den Wind stellen konnte. Um die ungeheuren Luftmengen in die Sammler zu bekommen, wandte man Tricks aus der Flugzeugtechnik an: Sogenannte NACA-Düsen ersetzen die alten Lufteinlässe. Die Benzinpumpen sind auf Drehstrom umgestellt, statt zwei arbeiten nun vier mit je 6,0 bar Druck. Die saugen eine ganze Badewanne voll Sprit im Handumdrehen leer. Der Abgasgegendruck wurde raffiniert verringert, und am Heck kämpfen ein Doppeldiffusor und ein steuerbarer Flügel gegen den Auftrieb. Auf den ersten Blick nicht sichtbar: Luftkanäle unter den Scheinwerfern verschaffen den Bremsen mehr Kühlluft. Das Fahrwerk hat neue Dämpfer, die trotz wesentlich härterer Federn ein komfortableres Fahrverhalten ergeben. Um das alles kurz zu machen.

Und es fährt sich gut, das teuerste und schnellste Auto der Welt. Der Bugatti lenkt sauber ein und zeichnet ein präzises Bild von den Fahrbahnverhältnissen - die Traktion auf feuchter Straße ist trotz Allradantrieb ein Thema bei 1500 Newtonmeter am Gaspedal. Mit etwa 600 PS (ein Instrument zeigt die abgerufene Leistung an) hat man alles für den konzentrierten Swing auf der einsamen, gut ausgebauten Straße. Nur, dass noch einmal die gleiche Leistung auf Reserve liegt. Man kann sie nicht oft abrufen, außer, man fährt auf einer Runway.

Der Motor schlägt völlig ungerührt zu. Wie ein Diesel, meinte ein englischer Kollege. Ja, ein Diesel aus der Hölle. Der Motor atmet, zischt und pfeift, schreit und brüllt aber nicht, wie ein Ferrari oder Lambo, während er dich ohne erkennbare Mühe durch Sonne und Mond wuchtet. Das Beschleunigen mit diesem Reaktor im Rücken ist so schön, dass man weinen möchte. Die Schwingung im irritierten Körper hält den ganzen restlichen Tag an.

Wir kennen nun das Glücksgeheimnis der Milliardäre: Man braucht im Leben gar nicht viel mehr als sechzehn Zylinder.

 

Der Wahnsinn in Zahlen:
Bugatti Veyron 16.4 Super Sport
Motor W-16-Zylinder-Benzinmotor
Vier Turbolader
Hubraum 7993 ccm
Leistung 882 kW (1200 PS) bei 6400 U/min
Max. Drehmoment 1500 Nm bei 3000-5000 U/min
Allradantrieb
Getriebe 7-Gang-DSG
Maße L/B/H: 4462/1998/1190 mm
Radstand 2710 mm
Leergewicht 1838 kg
Tankkapazität 100 Liter
Preis 1 650 000 Euro plus Steuern