TEXT: Helmut Werb FOTOS: Joachim Dave Schahl
Wer um die 140 000 Euro übrig hat, kann sich beide in die Garage stellen: den Mercedes CLS 63 AMG und die Diavel von Ducati. Und was passiert, wenn man beide aufeinander loslässt? Schauen wir mal!
Brett und Ted finden das alles ganz prima. Wir hatten gerade mit einem AMG CLS 63 für den Fotografen ein paar schwarze Streifen auf den Asphalt einer rechtlich öffentlichen Straße von San Diego gemalt, genau vor Brett und Teds Mucki-Bude & Tattoo-Parlor. Und als Dank für die Zustimmung, ihr graffitigeschmücktes Exterieur als fotografischen Hintergrund verwenden zu dürfen, bitte ich die beiden mehr oder weniger durchtrainierten Herren in den knallroten AMG zu einem Beschleunigungstest unter voller Beladung. Weil der CLS trotz des deutlichen Mehrgewichts die Null-auf-Sechzig locker unter fünf Sekunden schafft (geschätzt, jedenfalls), sind Brett & Ted auf den Passagiersitzen allerbester Dinge. Brett mehr, Ted weniger.
„That’s awesome!!!“, brüllt Brett entzückt in das Röhren des AMGs, und die vielen Ausrufezeichen sind deutlich in seinem Gesicht zu sehen. „I love German engineering!“. Ted schluckt nur. Eigentlich wäre jetzt die Ducati Diavel dran, aber der Ducati-Betreuer, der an der Straßenecke auf seinen Auftritt wartete, hatte während meiner improvisierten Testfahrt den Helm abgenommen, weshalb seine blasse Gesichtsfarbe nun deutlich erkennbar ist. Ein solches Manöver, so murmelt er etwas eingeschüchtert, möge ich mit der Diavel doch besser unterlassen. Um den Einwand des besorgten Motorrad-Betreuers besser verstehen zu können, gestatte ich mir, die Zeit um ein paar Stunden zurückzudrehen, was man in meiner Heimat Hollywood einen „Flashback“ nennt.
Ich möge bitte vorsichtig damit umgehen, sagt mir der oben genannte freundliche Mann und stellt sich beschützend vor die Ducati Diavel. Es ist früh am Morgen und wir stehen vor einem Luxushotel in einem der edleren Vororte von San Diego. Das gewaltige Zweirad sieht eigentlich nicht danach aus, als ob es besonderen Schutzes bedürfe, aber - so der besorgte junge Mann - beim besagten Krad handle es sich um eine Maschine aus der Vorserie, und genau dieses Exemplar müsse am nächsten Morgen nach New York verschifft werden, möglichst unversehrt bitte schön, um dort auf irgendeiner Motorradmesse Eindruck zu schinden für die italienische Motorradschmiede.
Der ebenso freundliche Herr von AMG, der neben einem knallroten AMG CSL 63 steht und der Dinge harrt, die auf ihn und sein teures Gefährt zukommen, nickt verständnisvoll. Ich nicke mitfühlend im Takt und lächle geflissentlich. Immerhin befinde ich mich hier, um Fahreindrücke zu sammeln von zwei der besten Kraftprotze, die in deutschen Verkaufsräumen zu finden sind. Und ich würde lügen, wenn ich mich nicht auf diesen - na sagen wir mal - ungewöhnlichen Vergleichstest sakrisch freuen würde. Trotzdem gelobe ich höfliche Zurückhaltung und schwinge mich auf die „teuflische“ Ducati.
Eine Kooperation zwischen AMG, der Affalterbacher Mercedes-Tochter, die im Stuttgarter Konzern für die Muskelarbeit verantwortlich zeichnet, und dem italienischen Motorradhersteller Ducati mag auf den ersten Blick ein wenig befremdlich erscheinen. Als die Bologneser im vergangenen Dezember auf der Los Angeles Auto Show die monströse Diavel auf dem Mercedes-Stand gleich neben einem AMG CLS 63 präsentierten, war ich nicht der Einzige, der sich fragte, wo denn die Verbindung zwischen den Italienern und den Schwaben zu finden sei. AMG-Fahrer sind zugegebenerweise mit einer deutlich sportlicheren Natur gesegnet als der „normale“ Mercedes-Kunde, aber trotzdem mag eine Affinität der Zielgruppe zwischen einem Super-Bike und einem Super-Car etwas weit hergeholt sein. Denn Zweifel sind berechtigt, ob sich der Besitzer eines deutlich mehr als hunderttausend Euro kostenden High-End-Projektils übers Wochenende in eine Motorradkluft zwängt, um 162 PS auf zwei Rädern zu erfahren.
Diese Affinität, so wurde mir von einem Mercedes-Vertreter mit leuchtenden Augen erklärt, sei mit der Suche nach Perfektion zu erklären. Sowohl AMG als auch Ducati haben sich zum Ziel gesetzt, das Beste auf die Räder - egal ob zwei oder vier - zu stellen, was technologisch machbar sei. Um enorme Kraftentfaltung mit großer Sicherheit und - jedenfalls im Fall von AMG - einem gehörigen Maß an Komfort zu verbinden, mussten die R & D-Abteilungen sowohl in Affalterbach als auch in Bologna Überstunden leisten. 557 PS und bandscheibenbedrohende 800 Newtonmeter Drehmoment im CLS 63 AMG waren für den Alltagsgebrauch zu zähmen, weshalb AMG das Spitzenmodell der CLS-Serie auf ein spezielles, neu entwickeltes Ride-Control-Sportfahrwerk mit einem elektronisch geregelten Dämpfungssystem setzte, das je nach Fahrsituation die bestmögliche Dämpferkennung steuert und die Wankneigung reduziert. Die pyrotechnischen G-Kräfte hingegen wirken weiterhin ungehindert auf die Körperphysik des Chauffeurs ein. Eine AMG-Keramik-Verbundbremsanlage reduziere die 1,8 Tonnen des CLS auf (in Südkalifornien) legale Straßengeschwindigkeiten und bringe den Fahrer zurück auf normale Atemfrequenz. Nach dieser ebenfalls mahnenden Einführungsrede des Mercedes-Mitarbeiters sitze ich in AMGs CLS-Version und fühle mich auf Anhieb zu Hause - Luxus pur, perfekte Sitze, super Sound, alles stimmt. Kein Wunder, die Affalterbacher haben schon seit Langem ihren guten Namen damit verdient, gewaltige Kraft mit Alltaugstauglichkeit und -komfort zu verbinden.
Die langjährige Arbeit hat sich gelohnt. Der CLS ist ein Supersportwagen im Herrenanzug. Das Speedshift-7-Gang-Getriebe schaltet wie ein Traum, das gigantische Drehmoment erlaubt entspanntes Fahren auf den 65-Meilen-Freeways, das Fahrwerk ist trotz sensationeller Straßenlage so komfortabel wie in einer regulären S-Klasse, und der CLS ist sogar mit einem „Eco“-Schalter ausgeschaltet, der laut Mercedes durch frühes Hochschalten einen Verbrauch von unter zehn Litern ermöglicht. Hehre Theorie, wage ich zu behaupten, denn trotz der Start/Stopp-Automatik beginnt der wahre Spaß, wenn der kleine Regelknopf auf „Sport Plus“ steht. Dann verwandelt sich der CLS von der Schmusekatze zum brüllenden Raubtier, und der Verbrauch nähert sich gewohnten AMG-Werten. Die Lenkung wird direkter, die riesigen Kraftreserven nehmen mir den Atem, und der Serotonin-Anteil im meinem Kreislauf erhöht sich auf nahezu illegale Werte. Die Ducati, mit unserem jugendlichen Aufpasser als „Vorfahrer“ im Sattel, bleibt stets im Blick, selbst auf engen Kurven rieche ich an ihren riesigen Auspuffrohren.
Ist der AMG eine Faust im Samthandschuh, kann ich bei der Ducati den Handschuh lange suchen. Folglich ist die oben erwähnte vorauseilende Vorsicht des Ducati-Vertreters gut zu verstehen: Die Straßen in Südkalifornien sind nicht im allerbesten Zustand - selbst in den Wohnvierteln der gehobenen Oberklasse -, und es kann schon passieren, dass du dich beim Kurvenausgang mit einem Schlagloch in der Größe einer mittleren Baugrube konfrontiert siehst. Um eventuelle Spätfolgen zu vermeiden, ließ Ducati von Pirelli einen neuen 240er-Hinterreifen entwickeln, der das Bike auf den Asphalt klebt und Seitenlagen ermöglicht, für die es dringend Ellbogen- und Schulterpads braucht. Nach meinem Fahrerwechsel auf die Diavel danke ich erst mal dem Himmel, dass mir vom Ducati-Mitarbeiter trotz allen Flehens um vorsichtige Fahrweise die Funktionsweise der Ducati Traction Control erklärt wurde, was meine Herzfrequenz etwas senkt und den AMG hinter mir in Schach hält. An die Verzögerungswerte der 320 Millimeter großen Brembo-Doppelscheiben muss ich mich noch ein wenig gewöhnen, Zahnprothesenträger sollten sich einer Vollbremsung möglichst enthalten.
Das extrem revolutionäre Design hingegen muss man mögen, das geben selbst die anwesenden Italiener zu. Die „Carbon“-Ausstattungsvariante sieht noch extravaganter aus, obwohl mein Freund von Ducati eingesteht, dass der verwendete Kohlefaserstoff weniger zur Gewichtsverringerung beiträgt und mehr der Optik dient. Nach ein paar Meilen ist mir das egal, denn die Diavel kommt so beeindruckend daher, dass selbst die Harley-gewohnten Kalifornier am Straßenrand stehen bleiben und staunend erstarren. Die Sitzposition ist gewöhnungsbedürftig, aber schon nach ein paar Kilometern merke ich den extrem fetten Tank, die wuchtigen Seitenkühler und den relativ hohen Lenker nicht mehr, und wenn das Ding erst mal am Laufen ist, können die Kurven weder zu eng noch zu schnell sein.
Wie beim AMG ist auch die Diavel mit einstellbaren Fahr-Modi ausgestattet - „Urban“, „Touring“ und „Sport“. In „Urban“ ist das Krad erstaunlicherweise recht kommod, obwohl so was relativ gesehen werden muss. In den Bergen hinter San Diego geht es dann bis auf 2000 Meter, es ist saukalt, aber die Fahreinstellung steht auf „Sport“ und folglich hält mein Adrenalinspiegel die Körpertemperatur auf Überlebenswerte. Der 1,2-Liter-V2-Motor beschleunigt die 207 Kilo in Regionen, die auf einem der zahlreichen Drag-Racing-Strips mithalten könnten: Zwei-Komma-Sechs Sekunden von Null auf Hundert, da kann selbst der mächtige AMG nicht mit.
Das Zusammenspiel von AMG und Ducati macht also durchaus Sinn, zukmindest hier hinter San Diego. Zwei der schönsten Fahrmaschinen, die man sich wünschen kann! „Mal ehrlich: Was macht mehr Spaß - Ducati oder CLS 63?“, fragt mich der Mann von Mercedes. Die Frage ist nicht fair. Erstens weil sich bekanntlich Äpfel nicht mit Birnen vergleichen lassen. Und vor allem, weil sie direkt auf mein Bankkonto zielt. „Ich hätte gern die knappen 20 Mille für die Diavel Carbon,“ antworte ich, „ aber wenn mein Banker die 115 für den CLS 63 AMG abnicken würde, könnte ich die sieben Tausender für das Performance Package irgendwie zusammenkratzen. Aber weil ich mich nie entscheiden könnte, welches Fahrzeug ich an welchem Tag fahren sollte, verzichte ich.“ Vor Bretts Tattoo-Parlor stellt sich derweilen eine ähnliche Frage. „So what’s with the bike?“, fragt mich Brett, während Ted immer noch schweigt und schluckt. Der junge Mann von Ducati wird noch etwas weißer um die Nase.
Der Schöne in Zahlen
Mercedes CLS 63 AMG
Motor V8-Biturbo
Hubraum 5461 ccm
Leistung 386 kW (525 PS) bei 5750 U/min
Max. Drehmoment 700 Nm bei 5000 U/min
0-100 km/h, Spitze 4,4 Sek., 250/300 km /h Getriebe 7-Gang-Automatikgetriebe
Maße L/B/H: 4996/1881/1406 mm
Radstand 2874 mm
Leergewicht 1870 kg
Preis zirka 116 000 Euro
Fakten zum Biest
Ducati Diavel Carbo Red ABS
Motor Zweizylinder Hubraum 1198 ccm
Leistung 119 kW (162 PS)
Max. Drehmoment 127,5 Nm bei 8000 U/min
0-100 km/h, Spitze 2,6 Sek., 250 km/h Maße L/H: 2257/1152 mm
Radstand 1590 mm
Gewicht 207 kg
Ausstattung Traktionskontrolle, ABS
Preis zirka 20 190 Euro